In diesem Jahr ist Weihnachten ganz anders. Volle Kirchen wird es nicht geben. Wenige Tage vor dem Fest empfehlen Ministerpräsidenten mit seit Monaten gewohnt ernster Stimme, Heiligabend auf den Gottesdienstbesuch zu verzichten. Ihnen selbst würde es schwerfallen, aber in Zeiten wie diesen gebietet es die Nächstenliebe zuhause zu bleiben. Es ist wohl ein Novum in der langen Geschichte des christlichen Gottesdienstes, dass seine Besucher in den Verdacht der Lieblosigkeit geraten könnten. Und es ist eine weitere Merkwürdigkeit, in nationalen und persönlichen Krisenzeiten dem Volk vom Gottesdienstbesuch abzuraten. In der Vergangenheit war es eher anders. Die Herrschenden haben Buß- und Bettage mit einer gewissen Pflicht zum Gottesdienstbesuch verordnet, um Notlagen von bedrohlicher Tragweite gemeinschaftlich zu bewältigen. Ob ein verpflichtendes Gebet und eine geforderte Buße die Angst mildern und die Zuversicht stärken können, mag dahingestellt sein. Aber immerhin kam der Gottesdienst als eine Möglichkeit der Krisenbewältigung in Betracht jenseits der Grenzen des politisch Machbaren. Gottesdienst war Trost- und Hoffnungsspender, wenn Politik und Wissenschaft keinen Trost, keine Hoffnung mehr geben konnten. Das kommt vor. Allmächtig sind sie nicht.
In diesem Jahr ist Weihnachten alles anders. Der Bundespräsident meldete sich zu Wort, wie es seine würdige Pflicht ist in Krisen- und Weihnachtszeiten, spricht von Hoffnung, die es trotz der dramatischen Lage gibt. Kurz vor dem großen Fest wäre es naheliegend, die Hoffnung mit dem Jesus-Kind, dem Heiland der Welt zu verknüpfen. Doch das tut er nicht. Seine Zuversicht gründet auf dem Impfstoff, den es bald geben wird. Nicht Jesus Christus, sondern das Serum ist das Licht in einer scheinbar dunklen Welt. Das ist die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr.
Angesicht der kaum zu bändigenden Corona-Zahlen und der Hilflosigkeit der Politik einen Aufruf zum Gebet vom Staatsoberhaupt zu hören, wäre womöglich beeindruckend, liegt aber nicht im Horizont des präsidialen Amtes unserer Zeit. Empörung wäre kaum zu erwarten, wenn er es täte. Schließlich ist die Lage beängstigend. Ratlosigkeit wäre eine denkbare Reaktion in einem Land das zunehmend ungeübt ist in religiöser Praxis: Was ist Gebet und wie betet man? Und was ist der Sinn von Gebet? Gebet ist eine Sprache des Überlebens, ein eigentümlich bewährtes Gespräch mit der Seele um Krisen der Machtlosigkeit zu bewältigen. Haben wir so eine Krise? Und ist es politisch fahrlässig, das Potential des Betens nicht zu nutzen um die kollektive Angst zu mildern? Hoffnung und Zuversicht liegen auf dem Impfstoff. In der Krippe liegen BioNTech, CureVac, Moderna. Sie sind die Retter der Welt. Letztes Jahr war es ein Mädchen aus Schweden. Die Geschichte vom Christkind scheint nicht mehr plausibel. Dem Jesus traut man die Rettung der Welt längst nicht mehr zu. Seltsam ist die Zurückhaltung der Kirchen. Notlagen haben sie immer vitalisiert und Gottesdienste gefüllt. In diesem Jahr bleiben die Kirchen leer, wegen der Nächstenliebe.
Ich hoffe inständig, die Sache mit dem Impfstoff geht gut. Wenn nicht, hat die Politik einen Plan B? Wäre beruhigend. Und haben wir bewährte Hausmittel und Wege mit Zukunftsangst umzugehen? Im Moment könnte sich Angst auf die ein oder andere Weise bemerkbar machen und die Stimmung drücken. Schlechte Stimmung tut der Gesundheit nicht gut.
In der Menschheitsgeschichte bot Religion, ihre Rituale und gelebte Alltagsfrömmigkeit immer so eine Art Plan B. Vielleicht neigt unsere Zeit dazu die religiöse Praxis als Mittel der Lebensbewältigung leichtsinnig zu unterschätzen. Aber vielleicht geht es auch gut mit dem Impfstoff. Vielleicht beten auch wieder mehr als vermutet im Stillen. Warum nicht. Wir werden sehen. Dieses Jahr ist alles anders. Und nächstes Jahr?
Florin von Blanckenburg meint
Lieber Klaus, uns hat dein Text sehr angesprochen. DU hast wirklich schöne Worte gefunden für unsere derzeitige Situation und was uns gerade alle bewegt.
Ich habe mich direkt an deine Predigten erinnert. Deine Art Alltag und Religion zu verbinden gefällt mir sehr gut!
Liebe Grüße
Edda und Florin