Angenommen es gäbe eine Kopie von mir. Angenommen ich würde mir begegnen, zufällig in der Stadt am Café an der Ecke, würde ich mich erkennen? Bliebe ich stehen mit offenem Mund: Hoppla, bin das nicht ich? Vertraute erkenne ich sofort, meine Frau, meine Geschwister, Freunde, den Nachbarn, aber ich bin mir nicht sicher wie befreundet ich mit mir selbst bin, wie vertraut mir mein Gesicht ist, die Haare, die Augen, die Haltung meiner Hände, der Gang meiner Schritte, das Gebärden meines Körpers. Der Blick in den Spiegel ist eher flüchtig. Selten betrachte ich meine ganze Erscheinung, noch seltener mit bewusster Zuneigung. Von hinten bin ich mir gänzlich fremd. Ich weiß nicht, ob ich mich erkennen würde im Vorübergehen am Café an der Ecke: Hoppla, bin das nicht ich?
Mögen wollte ich mich schon auf den ersten Blick, die Art wie ich mich kleide, meine Schuhe, die Frisur. Ein Lächeln wäre mir wichtig, so ein keckes aus Geborgenheit liebe ich sehr. Was mag ich an Menschen, welche sind mir lieb auf den ersten Blick und würde ich ihm standhalten, meinem ersten Blick?
Die Augen begegnen sich. Unmöglich an mir vorüberzugehen. Bin mutig und spreche mich an: Ein Espresso? Gerne. Ich wusste es. Zu einem Espresso sage ich selten nein. Am großen Fenster ist mein Lieblingsplatz. Quirliges Leben zieht vorbei. Kann einfach nur Beobachter sein. Heute habe ich Augen nur für mich. Bin unsicher. Worüber reden mit mir? Ich kenne doch, meine Gedanken, meine Gefühle, meine Vorlieben, meine Ängste, meine Gaben und mein Unvermögen. Niemand kennt mich so wie ich, niemand ist mir näher. Und niemand ist so befangen wie ich. Nähe macht blind wie Liebe und Angst blind machen. Brauche mehr Distanz zu mir selbst, will mir mutig Gegenüber sein. Und wer bin ich mir gegenüber? Nicht nur einer womöglich. Bin viele, eine schillernde Figur, für den einen bin ich der und für mich ein anderer. Festgelegt bin ich wirklich nicht. Ich kann auch anders sein.
Ob ich mich gern habe, fragt er mich. Ob ich mir freundlich gesonnen bin, frage ich mich. Ich oder er? Sonderbar die eigene Stimme zu hören auf der anderen Seite vom Tisch. Für einen Moment regt sich Scham. So also werde ich gehört. Bin überrascht von ihrem Klang. Meine Stimme, ich will sie unbedingt öfter hören, sie aufnehmen, aushalten und die Gefühle wahrnehmen, die sie auslöst in mir. Meine Stimme bin ich. Wäre schön herzlich mit ihr zu sein, mit dem Vielen, das ich bin. Untrennbar eng bin ich mir Nächster. Mich zu beachten macht Sinn, mich zu achten ganz bestimmt.
Geschirr kracht auf den Boden. Schrecke hoch aus meinen Gedanken. Eine Tasse steht auf den Tisch. Bin allein am Fenster, meinem Lieblingsplatz. Leben zieht rauschend an mir vorbei. Es ist Zeit zu gehen. Lege den Schal um und spaziere nach draußen. Bin mitten drin im quirligen Leben. Gehe nicht allein. Bin ganz mit mir. Ein reizendes Gefühl.
Schreibe einen Kommentar