„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Gott-Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“
So steht es in der Bibel. Soll Jesus gesagt haben.
Gehe ich in ein Krankenhaus oder betrete ich eine Kapelle, dann suche ich nach ihnen. In einem stillen Winkel finde ich sie: Die Besucherbücher. Scheinbar unbeachtet kümmern sie vor sich hin. Doch schlägt man sie auf, ist man mittendrin im Abenteuer Leben, wird Zeuge höchst persönlicher Gespräche zwisch Mensch und Gott. Gebete von Herzen, einfach, schlicht, ehrlich, ergreifend. Wer sie liest, versteht, dass Beten nicht zu verstehen ist, so wenig wie das Leben. Man betet oder lässt es, wenn man es lassen kann.
Gebete von Menschen, die es nicht lassen können, aufgeschrieben in den Lehrbüchern des Betens, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlich Möglichen:
„Lieber Herr, ich glaube nicht an dich, weil ich schon so viel Leid ertragen musste. Trotzdem komme ich jeden Tag hierher und erhoffe Deine Hilfe. Bringe mich bitte auf den rechten Weg.“
Ein Mensch, der nicht glaubt und doch betet. Einer, der im Leid Gott aufgegeben hat und doch Hilfe bei ihm sucht. Wie geht das? Ist doch verrückt! Kann man beten ohne Glauben? Oh ja, offenbar. Dieser Mensch kann es. Kein Zweifel, seine Worte sind Gebet. Das Gebet, so scheint es, ist bedingungslos, unabhängig. Es gibt keine wirklichen Voraussetzungen, die geleistet werden müssen. Keinen frommen Regeln muss Genüge getan werden, um sich ein Gebet zu erlauben. Nicht einmal der Glaube ist wichtig.
Das Gebet ist eine freie Sprache. Sie ist so unverschämt frei, dass man sie niemanden verschreiben kann. Wer sagt, du musst beten, behindert dein Gebet. Wer sagt, du musst glauben, dem traue nicht.
Bete in aller Freiheit, bete mit Glauben, bete ohne Glauben oder bete irgendwo dazwischen, im Widerspruch von beidem. Bete, wenn dein Herz nach Freiheit verlangt, nach der Freiheit einer Sprache, in der man sein kann, wie man ist, schnörkellos, schlicht, einfach Mensch. Achte nicht auf deinen Glauben, achte nicht auf deinen Unglauben. Achte aber auf dein Herz. Vielleicht verlangt es öfter nach freier Sprache, als du glaubst.
Einfache Gebete, in Freiheit gesprochen, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlichen Möglichen:
„Lieber Gott, danke! Ich lebe noch, das Leben ist so schön! Du hast mir vor sieben Jahren meinen lieben Ehemann genommen. Dann vor drei Jahren meinen heiß geliebten einzigen Sohn. Vor einem Jahr meine letzte Angehörige, meine Schwester. Jetzt habe ich einen Herzinfarkt überlebt und freue mich trotzdem, dass ich noch auf dieser Welt bin.“
Ein Dankgebet. Es hätte auch ein Klagegebet sein können. Viel schwerer Stoff in einem Leben. Die Frau, wohl schon älter, hat sich für das Danken entschieden. Es war ihre Entscheidung, wie sie ihr Leben sieht. Vielleicht keine einfache, aber ihre Entscheidung. In der Rückschau auf die Zeit hatte sie die Wahl zwischen Verbitterung und Dankbarkeit. Sie hat sich entschieden und die Dankbarkeit gewählt, warum auch immer.
Das Leben eines Menschen ist so, wie es ist. Es gibt nichts wirklich Gutes und nichts Schlechtes. Das Gute kann schlecht sein und das schlechte kann gut sein, wie sich später oft herausstellt. Wer weiß schon, welchen Sinn das Einzelne im Ganzen macht. Wer weiß schon, wie groß das Ganze ist, in dem wir leben, und welchen Sinn es macht. Es ist unsere Entscheidung, wie wir unser Leben sehen, anklagend oder versöhnt. Wir haben die Freiheit. Die Verantwortung liegt damit bei uns. Ob die Dankbarkeit die bessere Wahl ist? Schwer zu sagen. Dem Gebet ist beides recht. Im Gebet hat alles Raum, die ehrliche Klage und ehrliche Dankbarkeit.
Wofür Du Dich entscheiden sollst? Spüre, wonach Dein Herz verlangt und stehe ein für Deine Entscheidung. Sie ist gut, wenn Du die Verantwortung übernimmst. Das ist Deine Würde als Mensch, Deine Freiheit in Verantwortung zu leben. Darin sind wir Ebenbilder Gottes, wie die Bibel es nennt, kaum weniger als er. „Was ist der Mensch, Gott, dass du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott.“ Diesen Satz aus der Bibel zu verstehen heißt zu erkennen, wer man ist. Mehr als so mancher uns weismachen will. Wir haben etwas Göttliches an uns. Wir können beten.
Die einfachen Gebete, in göttlicher Würde gesprochen, man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:
„Lieber Gott!!! Danke, dass ich meine Handschuhe wiedergefunden habe! Ich glaub auch an Dich, bitte enttäusche mich nicht.“
Ob ein Kind dieses Gebet aufgeschrieben hat? Kinder haben keine Skrupel, sich mit den kleinen Dingen des Lebens an Gott zu wenden. Handschuhe wiedergefunden. Danke, Gott! Fahrradreifen platt. Hilf mir, Gott! Für sie hat das Gebet mit dem alltäglichen Leben zu tun, mit dem ganz Gewöhnlichen, das ein Tag zu bieten hat, einkaufen, Schuhe putzen, abwaschen, Hausaufgaben. Das ist naiv, sicherlich. Aber es zeugt auch von einer Art zu beten, die ganz nahe am Leben ist, ganz konkret mit dem Alltag verbunden ist. Das Gebet ist nicht nur eine Sprache für die große Krise, nicht nur Rede zu den erhabenen Themen des Lebens wie Krankheit und Gesundheit, Zweifel und Glauben, Leid und Glück, Tod und Sterben. Das Gebet ist nicht nur in den Kirchen zu Hause, in den wohlgesetzten Worten einer Liturgie. Es ist sich nicht zu schade für das einfache schlichte Leben. Hier ist es zu Hause. Schön, wenn Gebet Sprache im Alltag ist. Schön, wenn der Alltag Gebet ist. Es soll uns nicht abheben lassen von der Erde hinauf zu den himmlischen. Das Gebet soll uns erden, runterbringen, wurzeln lassen. Nur wer fest und tief verwurzelt ist in der Erde, kann zum Himmel emporwachsen. Achte auf die Bäume!
Einfache Gebete, dem Leben ganz nah, verwurzelt in der Erde. Man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:
„Gott, du weiß genauso gut wie ich, dass ich schon seit langem nicht mehr richtig an dich glaube! Du hast mich einfach viel zu oft allein gelassen! Als ich gebetet habe für meinen Großvater, ließest Du mich im Stich. Als ich gebet habe, dass sich meine Eltern wieder vertragen und Mom zurück zu Dad geht, kam auch nichts! Doch der schlimmste Moment war immer, als mich mein Stiefvater schlug und fertig machte, wo ich dich und deine Unterstützung am allermeisten brauchte, kam nichts! Einfach gar nichts! Ich musste mein Leben immer allein meistern ohne deine Hilfe. Daher kann ich nicht mehr an Dich glauben. Na, und jetzt liege ich mit Herzproblemen hier im Krankenhaus. Die 15-jährige Patientin!“
Bittgebete sind viele zu finden in den Besucherbüchern der Krankenhäuser und Kapellen, viele. Bitten um Gesundheit, um Hilfe bei einer Operation, Bitten für das Wohl der Kinder, Bitten gegen die Angst vor dem Tod. Eins ist sicher: Nicht alle Bitten wurden erfüllt. Keiner kann sagen warum. Wie oft mag das Mädchen nachts wach gelegen haben, zum Himmel flehend um Erlösung. Sie wurde aber nicht erlöst. Der Stiefvater schlug sie weiter. So ist das mit dem Gebet, eine schöne Sache, eine freie Sprache, tauglich für die Klage und für den Dank über das Leben, ganz nahe dem Alltag, aber leider ungeeignet für die Erfüllung eines einfachen Wunsches. Es ist ja nicht viel, was das Mädchen verlangt. Keine Schläge mehr. Das wenige bleibt ihr verwehrt. Was soll man dazu sagen? Einige können damit umgehen, sie sagen: Es war nicht Gottes Wille. Sein Wille ist die letzte Instanz. Die Wünsche des Mädchens entsprachen nicht seinem Plan für das Mädchen.
Jesus hat sein Leid so verstanden: „Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Gottes Wünsche sollen in Erfüllung gehen, nicht die des Menschen. In diesen Sätzen liegt viel Wahrheit, ohne Zweifel. Nicht umsonst hat Theologie und Kirche sie groß herausgebracht. Wenn ein Mensch das für sein Leben annehmen kann, ist das ein großer Gewinn. Aber Jesus hat auch noch andere Sätze gesagt über das Bitten. Die Sache wird schwierig, sehr schwierig:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“
Und an anderer Stelle sagt er:
„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“
Von der Theologie und der Kirche sind diese Sätze nie wirklich stark gemacht geworden, auch wenn sie von Jesus gesagt wurden wie der erste. Die Erfahrung spricht sehr dagegen und vor allem das Gottesbild. Ein Gott, der uns aus seiner unendlichen Fülle frei alles gibt, egal, was wir von ihm bitten, ohne Bedingungen, ohne strafende oder belohnende Absichten, das ist ein Gott, der nicht so recht passen will in die Vorstellungen der Religionen. Gott ist nicht freigiebig, sagen sie. Gott erfüllt nicht alle Wünsche, behaupten sie. Erst muss man ihm etwas geben, bevor er etwas gibt. Bevor er gibt, prüft er, ob wir es verdient haben, ob es in seinen Plan passt für uns. Denn er hat einen Plan für uns, aus dem wir nicht entkommen. Vertraute Gedanken, mit denen wir groß werden. Kleine Menschengedanken, nicht mehr. Gott ist größer. Warum um alles in der Welt sollte uns Gott nicht alle Wünsche erfüllen? Was hat er davon, es nicht zu tun? Er ist doch die ganze Fülle des Lebens! Er hat keinen Mangel! Warum sollte er uns nicht alles geben? Warum sollte er uns Mangel leiden lassen? Und warum sollte Gott einen Plan haben für unser Leben? Hat er uns nicht die Freiheit zur Entscheidung gegeben? Ist das nicht unsere Würde, der freie Wille? Wenn es darum geht, uns schuldig zu machen, uns kleinzumachen zu elenden Sündern, dann ist der freie Wille uns großzügig gegönnt, denn schuldig kann nur sein, wer die Wahl hat. Geht es um Gottes Plan für uns, geht es um die Würde unser Leben frei zu gestalten, dann spielt der freie Wille keine Rolle mehr. Dann gilt nur Gottes Wille. Dann sind wir willfährige Objekte seiner Ideen. Das alles macht kaum Sinn, es sei denn, jemand schätzt es, einen Menschen zu entwürdigen. Gott nimmt uns nicht unsere Freiheit. Er hat sie uns gegeben, weil wir ihm ähnlich sein sollen.
Ich glaube nicht, dass er einen Plan hat für unser Leben, den er mit aller Gewalt durchzieht wie ein Drehbuch. Was wäre das für ein Gott? Ich glaube aber, er hat ein Ziel für unser Leben, ein vorläufiges, und wir werden dieses Ziel erreichen, egal wie wir uns entscheiden, egal was wir tun. Sein Wille wird geschehen, wenn wir in Freiheit entscheiden, obwohl wir in Freiheit entscheiden. Niemand muss Angst haben, eine falsche Wahl zu treffen. Niemand muss fürchten, Gottes Willen nicht zu entsprechen. Wir leben längst in Gott, sind ihm näher als wir glauben, sind längst erlöst. Weil es uns immer anders erzählt wird, haben wir keinen Blick dafür. Das kann sich ändern.
Wenn das so ist, warum sollte Gott uns nicht alle Bitten erfüllen? Warum sollte er uns nicht alles frei geben aus seiner Fülle, worum wir ihn bitten? Warum sollte er unsere Wünsche nicht erfüllen? Bloß nicht zu klein denken von Gott, bloß nicht zu menschlich. Bloß nicht zu ängstlich sein, bloß nicht zu sehr verhaftet sein in den engen Gefilden religiöser Macht. Mutig die Verantwortung übernehmen für den eigenen Glauben. Erwachsen werden.
Es bleibt die Erfahrung nicht erhörter Gebete. Ich weiß. Die Gebetsbücher in den Krankenhäusern und Kapellen erzählen davon. Aber diese Erfahrung sollte nicht dazu führen, von uns Menschen und von Gott zu klein zu denken. Immer ein bisschen größer denken, immer das Unmögliche glauben, keine Angst haben vor eigenen Gedanken, Grenzen überschreiten, mit Überraschungen rechnen, nicht stehen bleiben bei dem Altvertrauten. Es gibt noch viel zu entdecken. In Bewegung bleiben, beten, in freier Sprache, in Verantwortung für dein Leben, verwurzelt in der Erde, wissend und glaubend, dass Gott alle Bitten erfüllt. Und mit der Erfahrung Frieden schließen, dass manches anders kommt, als Du es Dir wünscht. So ist das Leben, voller Widersprüche. Warum das so ist? Weiß der Himmel.
Gebete von Menschen, die es nicht lassen können, aufgeschrieben in den Lehrbüchern des Betens, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlich Möglichen:
„Lieber Herr, ich glaube nicht an dich, weil ich schon so viel Leid ertragen musste. Trotzdem komme ich jeden Tag hierher und erhoffe Deine Hilfe. Bringe mich bitte auf den rechten Weg.“
Ein Mensch, der nicht glaubt und doch betet. Einer, der im Leid Gott aufgegeben hat und doch Hilfe bei ihm sucht. Wie geht das? Ist doch verrückt! Kann man beten ohne Glauben? Oh ja, offenbar. Dieser Mensch kann es. Kein Zweifel, seine Worte sind Gebet. Das Gebet, so scheint es, ist bedingungslos, unabhängig. Es gibt keine wirklichen Voraussetzungen, die geleistet werden müssen. Keinen frommen Regeln muss Genüge getan werden, um sich ein Gebet zu erlauben. Nicht einmal der Glaube ist wichtig.
Das Gebet ist eine freie Sprache. Sie ist so unverschämt frei, dass man sie niemanden verschreiben kann. Wer sagt, du musst beten, behindert dein Gebet. Wer sagt, du musst glauben, dem traue nicht.
Bete in aller Freiheit, bete mit Glauben, bete ohne Glauben oder bete irgendwo dazwischen, im Widerspruch von beidem. Bete, wenn dein Herz nach Freiheit verlangt, nach der Freiheit einer Sprache, in der man sein kann, wie man ist, schnörkellos, schlicht, einfach Mensch. Achte nicht auf deinen Glauben, achte nicht auf deinen Unglauben. Achte aber auf dein Herz. Vielleicht verlangt es öfter nach freier Sprache, als du glaubst.
Einfache Gebete, in Freiheit gesprochen, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlichen Möglichen:
„Lieber Gott, danke! Ich lebe noch, das Leben ist so schön! Du hast mir vor sieben Jahren meinen lieben Ehemann genommen. Dann vor drei Jahren meinen heiß geliebten einzigen Sohn. Vor einem Jahr meine letzte Angehörige, meine Schwester. Jetzt habe ich einen Herzinfarkt überlebt und freue mich trotzdem, dass ich noch auf dieser Welt bin.“
Ein Dankgebet. Es hätte auch ein Klagegebet sein können. Viel schwerer Stoff in einem Leben. Die Frau, wohl schon älter, hat sich für das Danken entschieden. Es war ihre Entscheidung, wie sie ihr Leben sieht. Vielleicht keine einfache, aber ihre Entscheidung. In der Rückschau auf die Zeit hatte sie die Wahl zwischen Verbitterung und Dankbarkeit. Sie hat sich entschieden und die Dankbarkeit gewählt, warum auch immer.
Das Leben eines Menschen ist so, wie es ist. Es gibt nichts wirklich Gutes und nichts Schlechtes. Das Gute kann schlecht sein und das schlechte kann gut sein, wie sich später oft herausstellt. Wer weiß schon, welchen Sinn das Einzelne im Ganzen macht. Wer weiß schon, wie groß das Ganze ist, in dem wir leben, und welchen Sinn es macht. Es ist unsere Entscheidung, wie wir unser Leben sehen, anklagend oder versöhnt. Wir haben die Freiheit. Die Verantwortung liegt damit bei uns. Ob die Dankbarkeit die bessere Wahl ist? Schwer zu sagen. Dem Gebet ist beides recht. Im Gebet hat alles Raum, die ehrliche Klage und ehrliche Dankbarkeit.
Wofür Du Dich entscheiden sollst? Spüre, wonach Dein Herz verlangt und stehe ein für Deine Entscheidung. Sie ist gut, wenn Du die Verantwortung übernimmst. Das ist Deine Würde als Mensch, Deine Freiheit in Verantwortung zu leben. Darin sind wir Ebenbilder Gottes, wie die Bibel es nennt, kaum weniger als er. „Was ist der Mensch, Gott, dass du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott.“ Diesen Satz aus der Bibel zu verstehen heißt zu erkennen, wer man ist. Mehr als so mancher uns weismachen will. Wir haben etwas Göttliches an uns. Wir können beten.
Die einfachen Gebete, in göttlicher Würde gesprochen, man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:
„Lieber Gott!!! Danke, dass ich meine Handschuhe wiedergefunden habe! Ich glaub auch an Dich, bitte enttäusche mich nicht.“
Ob ein Kind dieses Gebet aufgeschrieben hat? Kinder haben keine Skrupel, sich mit den kleinen Dingen des Lebens an Gott zu wenden. Handschuhe wiedergefunden. Danke, Gott! Fahrradreifen platt. Hilf mir, Gott! Für sie hat das Gebet mit dem alltäglichen Leben zu tun, mit dem ganz Gewöhnlichen, das ein Tag zu bieten hat, einkaufen, Schuhe putzen, abwaschen, Hausaufgaben. Das ist naiv, sicherlich. Aber es zeugt auch von einer Art zu beten, die ganz nahe am Leben ist, ganz konkret mit dem Alltag verbunden ist. Das Gebet ist nicht nur eine Sprache für die große Krise, nicht nur Rede zu den erhabenen Themen des Lebens wie Krankheit und Gesundheit, Zweifel und Glauben, Leid und Glück, Tod und Sterben. Das Gebet ist nicht nur in den Kirchen zu Hause, in den wohlgesetzten Worten einer Liturgie. Es ist sich nicht zu schade für das einfache schlichte Leben. Hier ist es zu Hause. Schön, wenn Gebet Sprache im Alltag ist. Schön, wenn der Alltag Gebet ist. Es soll uns nicht abheben lassen von der Erde hinauf zu den himmlischen. Das Gebet soll uns erden, runterbringen, wurzeln lassen. Nur wer fest und tief verwurzelt ist in der Erde, kann zum Himmel emporwachsen. Achte auf die Bäume!
Einfache Gebete, dem Leben ganz nah, verwurzelt in der Erde. Man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:
„Gott, du weiß genauso gut wie ich, dass ich schon seit langem nicht mehr richtig an dich glaube! Du hast mich einfach viel zu oft allein gelassen! Als ich gebetet habe für meinen Großvater, ließest Du mich im Stich. Als ich gebet habe, dass sich meine Eltern wieder vertragen und Mom zurück zu Dad geht, kam auch nichts! Doch der schlimmste Moment war immer, als mich mein Stiefvater schlug und fertig machte, wo ich dich und deine Unterstützung am allermeisten brauchte, kam nichts! Einfach gar nichts! Ich musste mein Leben immer allein meistern ohne deine Hilfe. Daher kann ich nicht mehr an Dich glauben. Na, und jetzt liege ich mit Herzproblemen hier im Krankenhaus. Die 15-jährige Patientin!“
Bittgebete sind viele zu finden in den Besucherbüchern der Krankenhäuser und Kapellen, viele. Bitten um Gesundheit, um Hilfe bei einer Operation, Bitten für das Wohl der Kinder, Bitten gegen die Angst vor dem Tod. Eins ist sicher: Nicht alle Bitten wurden erfüllt. Keiner kann sagen warum. Wie oft mag das Mädchen nachts wach gelegen haben, zum Himmel flehend um Erlösung. Sie wurde aber nicht erlöst. Der Stiefvater schlug sie weiter. So ist das mit dem Gebet, eine schöne Sache, eine freie Sprache, tauglich für die Klage und für den Dank über das Leben, ganz nahe dem Alltag, aber leider ungeeignet für die Erfüllung eines einfachen Wunsches. Es ist ja nicht viel, was das Mädchen verlangt. Keine Schläge mehr. Das wenige bleibt ihr verwehrt. Was soll man dazu sagen? Einige können damit umgehen, sie sagen: Es war nicht Gottes Wille. Sein Wille ist die letzte Instanz. Die Wünsche des Mädchens entsprachen nicht seinem Plan für das Mädchen.
Jesus hat sein Leid so verstanden: „Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“
Gottes Wünsche sollen in Erfüllung gehen, nicht die des Menschen. In diesen Sätzen liegt viel Wahrheit, ohne Zweifel. Nicht umsonst hat Theologie und Kirche sie groß herausgebracht. Wenn ein Mensch das für sein Leben annehmen kann, ist das ein großer Gewinn. Aber Jesus hat auch noch andere Sätze gesagt über das Bitten. Die Sache wird schwierig, sehr schwierig:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“
Und an anderer Stelle sagt er:
„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“
Von der Theologie und der Kirche sind diese Sätze nie wirklich stark gemacht geworden, auch wenn sie von Jesus gesagt wurden wie der erste. Die Erfahrung spricht sehr dagegen und vor allem das Gottesbild. Ein Gott, der uns aus seiner unendlichen Fülle frei alles gibt, egal, was wir von ihm bitten, ohne Bedingungen, ohne strafende oder belohnende Absichten, das ist ein Gott, der nicht so recht passen will in die Vorstellungen der Religionen. Gott ist nicht freigiebig, sagen sie. Gott erfüllt nicht alle Wünsche, behaupten sie. Erst muss man ihm etwas geben, bevor er etwas gibt. Bevor er gibt, prüft er, ob wir es verdient haben, ob es in seinen Plan passt für uns. Denn er hat einen Plan für uns, aus dem wir nicht entkommen. Vertraute Gedanken, mit denen wir groß werden. Kleine Menschengedanken, nicht mehr. Gott ist größer. Warum um alles in der Welt sollte uns Gott nicht alle Wünsche erfüllen? Was hat er davon, es nicht zu tun? Er ist doch die ganze Fülle des Lebens! Er hat keinen Mangel! Warum sollte er uns nicht alles geben? Warum sollte er uns Mangel leiden lassen? Und warum sollte Gott einen Plan haben für unser Leben? Hat er uns nicht die Freiheit zur Entscheidung gegeben? Ist das nicht unsere Würde, der freie Wille? Wenn es darum geht, uns schuldig zu machen, uns kleinzumachen zu elenden Sündern, dann ist der freie Wille uns großzügig gegönnt, denn schuldig kann nur sein, wer die Wahl hat. Geht es um Gottes Plan für uns, geht es um die Würde unser Leben frei zu gestalten, dann spielt der freie Wille keine Rolle mehr. Dann gilt nur Gottes Wille. Dann sind wir willfährige Objekte seiner Ideen. Das alles macht kaum Sinn, es sei denn, jemand schätzt es, einen Menschen zu entwürdigen. Gott nimmt uns nicht unsere Freiheit. Er hat sie uns gegeben, weil wir ihm ähnlich sein sollen.
Ich glaube nicht, dass er einen Plan hat für unser Leben, den er mit aller Gewalt durchzieht wie ein Drehbuch. Was wäre das für ein Gott? Ich glaube aber, er hat ein Ziel für unser Leben, ein vorläufiges, und wir werden dieses Ziel erreichen, egal wie wir uns entscheiden, egal was wir tun. Sein Wille wird geschehen, wenn wir in Freiheit entscheiden, obwohl wir in Freiheit entscheiden. Niemand muss Angst haben, eine falsche Wahl zu treffen. Niemand muss fürchten, Gottes Willen nicht zu entsprechen. Wir leben längst in Gott, sind ihm näher als wir glauben, sind längst erlöst. Weil es uns immer anders erzählt wird, haben wir keinen Blick dafür. Das kann sich ändern.
Wenn das so ist, warum sollte Gott uns nicht alle Bitten erfüllen? Warum sollte er uns nicht alles frei geben aus seiner Fülle, worum wir ihn bitten? Warum sollte er unsere Wünsche nicht erfüllen? Bloß nicht zu klein denken von Gott, bloß nicht zu menschlich. Bloß nicht zu ängstlich sein, bloß nicht zu sehr verhaftet sein in den engen Gefilden religiöser Macht. Mutig die Verantwortung übernehmen für den eigenen Glauben. Erwachsen werden.
Es bleibt die Erfahrung nicht erhörter Gebete. Ich weiß. Die Gebetsbücher in den Krankenhäusern und Kapellen erzählen davon. Aber diese Erfahrung sollte nicht dazu führen, von uns Menschen und von Gott zu klein zu denken. Immer ein bisschen größer denken, immer das Unmögliche glauben, keine Angst haben vor eigenen Gedanken, Grenzen überschreiten, mit Überraschungen rechnen, nicht stehen bleiben bei dem Altvertrauten. Es gibt noch viel zu entdecken. In Bewegung bleiben, beten, in freier Sprache, in Verantwortung für dein Leben, verwurzelt in der Erde, wissend und glaubend, dass Gott alle Bitten erfüllt. Und mit der Erfahrung Frieden schließen, dass manches anders kommt, als Du es Dir wünscht. So ist das Leben, voller Widersprüche. Warum das so ist? Weiß der Himmel.
Schreibe einen Kommentar