Viele Geschichten werden über Jesus erzählt, auch wundersame. Eine davon will mir nicht aus dem Sinn. Er steigt in ein Boot und lässt sich hinausfahren auf den See, hin zu neuen Ufern. Auf Kissen gebettet fällt er in den Schlaf. Ein gewaltiger Sturm kommt auf. Die Wellen reißen das Boot hin und her. Es droht zu sinken und Jesus schläft. Seine Begleiter rütteln ihn wach, schreien ihn an: Wir gehen unter, hilf! Er stellt sich auf und befielt den Gewalten: Schweig! Verstumme! Der Sturm entflieht, die Wellen werden sanft und eine große Stille legt sich nieder. Was für ein mächtiger Mensch. Wind und Wellen gehorchen seinen Worten. Noch erstaunlicher und nicht weniger wunderlich scheint mir die Fähigkeit zu sein, ruhig zu schlafen, während drum herum alles unterzugehen droht. Der Sturm, die Wellen, die Angstschreie der Menschen, all das bringt ihn nicht um den Schlaf. Dieser Mann scheint ein Maß an Geborgenheit zu empfinden, das mir nicht zu eigen ist. Wohl aber sehne ich mich danach. Kaum ein Leben bleibt unbewegt von wackligen Zeiten. Es kann stürmisch werden, die Wellen hochschlagen und der Boden zu wanken beginnen. Haltlosigkeit macht Angst und Angst raubt den Schlaf. Kontrollverlust.
Jesus hatte scheinbar sehr wenig Angst. Er konnte schlafen. Hätten seine Begleiter ihn nicht geweckt und hätte er den Sturm nicht beruhigt, wäre das Schiff samt Menschen gesunken? Die Hinrichtung am Kreuz wäre ihm erspart geblieben und eine Erlösung der Welt hätte es so nicht gegeben. Oder glaubte er an einen Plan für sein Leben, an eine Notwendigkeit der Ereignisse? Er hätte sicher sein können, nicht in dem Boot unter zu gehen, wenn er sich sicher war am Kreuz sterben zu müssen. Ob ihn diese Gewissheit ruhig schlafen ließ auf dem Boot?
Gibt es einen Plan auch für unser Leben, sodass wir ruhig schlafen könnten in turbulenten Zeiten? Es geschieht, was geschehen muss. Wir können nichts dazu tun und nichts wegnehmen. Wäre das Gottvertrauen? Mildert das die Angst? Lässt das gut schlafen? Ich bin mir nicht sicher. Und wenn es keinen Plan gibt, nach dem Leben sich gestaltet, keine Aufgaben, die erfüllt werden müssen, keine Berufung zu irgendetwas außer zum Leben mit all seinen Verrücktheiten? Vielleicht ist die Zukunft völlig offen, vielleicht war sie völlig offen auch für Jesus. Vielleicht wäre die Welt auch anders erlöst worden, wenn sie überhaupt erlöst werden muss, wäre er auf dem See ertrunken. Die Kreativität des Göttlichen im Umgang mit der Freiheit sollte man nicht unterschätzen. Gott scheint mir nicht festgelegt. Er kennt viele Wege der Erlösung. In der Offenheit könnte sich Leben erfüllen und einem Ziel zustreben, über das wir nicht verfügen. Ist das Gottvertrauen?
Ich weiß nicht, was besser ist, was besser schlafen lässt, an einen Plan zu glauben oder an die Offenheit der Zukunft. Beides hat seinen Reiz. Ob es noch etwas Drittes gibt?
Nachdem Jesus den Sturm beruhigt hatte, sagte er zu seinen Begleitern: „Warum seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“
Was um alles in der Welt hat er mit „Glauben“ gemeint? Was ist das für eine innere Haltung, die Angst schwächt und gut schlafen lässt auf der Fahrt zu neuen Ufern, selbst wenn es stürmisch wird und der Untergang droht? Lernbar ist dieser „Glaube“ wohl. Lohnen würde es sich bestimmt. Weniger Angst vor der Zukunft ist angenehm, glaube ich.
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