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Leichtsinnige Ansichten

Auf dieser Seite finden Sie Ansichten zum Leben. Davon gibt es unendlich viele, weil das Leben unendlich viel ist. Es bietet eine verwirrende Vielfalt an Meinungen, Deutungen und Vorstellungen. Alles ganz natürlich.

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Offenes Kunstwerk

Leben ist so wie es ist. Es kommt darauf an, wie wir es deuten. Das ist unsere Freiheit. Es wird immer Veränderungen geben gegen unseren Willen,  es wird Krisen geben, Wandel, Not und mit Sicherheit den Tod. Wir sind nicht nur Gestalter, wir werden auch gestaltet und können es nicht verhindern. Es geschieht mit uns, warum auch immer. Das ist eine schlichte Wahrheit, nicht selten eine schmerzliche. Aber wir haben die Wahl Ereignisse und Widerfahrnisse auf die eine oder andere Weise zu verstehen. Wir können die Sichtweise wechseln, Erlebnisse im Laufe des Lebens neu bewerten und verinnerlichen. Das ist eine erstaunliche Fähigkeit, die auch Glaube genannt werden könnte. 

Sichtweisen auf das Leben gibt es viele, wohl so viele wie es Menschen auf der Erde gibt. Was um uns geschieht, was uns widerfährt und was wir tun, ist keineswegs eindeutig. Die Welt ist ein offenes Kunstwerk, das wir als Betrachter vollenden mit einer Deutung, die ganz unsere ist. Zu meinen, die eigene Erkenntnis sei letztlich die wahre für alle Menschen für alle Zeit, wäre wenig klug, denn die Zeiten ändern sich und die Menschen auch. Was einst passte, wird wenig passend sein für eine Ewigkeit. Eine neue Ansicht zu wählen kann hilfreich sein umständliches Leben leichter zu nehmen. 

Was wir glauben, wie wir die Welt deuten und verstehen, hat eine Wirkung. Es wird einen Unterschied machen, ob ich die Eltern für meine Lebensprobleme verantwortlich zeichne, ihre Erziehung beklage und verurteile, oder ob ich glaube, sie haben es so gut gemacht wie es möglich war in ihrer Geschichte. Jetzt ist es meine Aufgabe Verantwortung zu übernehmen für mein Leben und die Folgen meines Handels tapfer zu tragen. Welche Deutung ich wähle, ändert nichts an der Vergangenheit, sehr wohl aber an Gegenwart und Zukunft. 

Eine andere Vorstellung, keine Frage eine kuriose, schließt die Möglichkeit nicht aus, unsere Seele hätte sich genau jene Eltern ausgesucht, um ganz bestimmte Erfahrungen zu machen, die wichtig sind für uns, warum auch immer. Die Seele will alles kennenlernen, alle Facetten menschlichen Daseins ganz ohne moralische Wertung. Für manche wird das absurd klingen, zynisch, wenn das Leid groß war. Andere aber werden ihren Frieden finden in dieser eigentümlichen Weise Leben zu verstehen. Niemand muss es sich unnütz schwer machen. Wahrheit hat etwas mit Wirkung zu tun. Wahr könnte sein, was einen Hauch mehr Frieden und Geborgenheit gibt in einer oft als friedlos und unbehaust empfundenen Welt. Wahrheit hat viel mit Versöhnung zu tun. Versöhnung, die aus Erkenntnis geschieht, ist wunderbar.

Wer Lust hat sein Bewusstsein zu weiten für das Verstehen der Welt, wer seine Möglichkeiten mehren will Leben zu bewältigen, der sollte das Gespräch mit Menschen suchen, die die Welt ganz unglaublich verstehen. Ihre andere Sicht eröffnet die Freiheit zur Wahl. Haben wir die Wahl, sind wir lebendig. Schon gut, dass es die anderen gibt.

Angenommen

Angenommen es gäbe eine Kopie von mir. Angenommen ich würde mir begegnen, zufällig in der Stadt am Café an der Ecke, würde ich mich erkennen? Bliebe ich stehen mit offenem Mund: Hoppla, bin das nicht ich? Vertraute erkenne ich sofort, meine Frau, meine Geschwister, Freunde, den Nachbarn, aber ich bin mir nicht sicher wie befreundet ich mit mir selbst bin, wie vertraut mir mein Gesicht ist, die Haare, die Augen, die Haltung meiner Hände, der Gang meiner Schritte, das Gebärden meines Körpers. Der Blick in den Spiegel ist eher flüchtig. Selten betrachte ich meine ganze Erscheinung, noch seltener mit bewusster Zuneigung. Von hinten bin ich mir gänzlich fremd. Ich weiß nicht, ob ich mich erkennen würde im Vorübergehen am Café an der Ecke: Hoppla, bin das nicht ich?

Mögen wollte ich mich schon auf den ersten Blick, die Art wie ich mich kleide, meine Schuhe, die Frisur. Ein Lächeln wäre mir wichtig, so ein keckes aus Geborgenheit liebe ich sehr. Was mag ich an Menschen, welche sind mir lieb auf den ersten Blick und würde ich ihm standhalten, meinem ersten Blick?

Die Augen begegnen sich. Unmöglich an mir vorüberzugehen. Bin mutig und spreche mich an: Ein Espresso? Gerne. Ich wusste es. Zu einem Espresso sage ich selten nein. Am großen Fenster ist mein Lieblingsplatz. Quirliges Leben zieht vorbei. Kann einfach nur Beobachter sein. Heute habe ich Augen nur für mich. Bin unsicher. Worüber reden mit mir? Ich kenne doch, meine Gedanken, meine Gefühle, meine Vorlieben, meine Ängste, meine Gaben und mein Unvermögen. Niemand kennt mich so wie ich, niemand ist mir näher. Und niemand ist so befangen wie ich. Nähe macht blind wie Liebe und Angst blind machen. Brauche mehr Distanz zu mir selbst, will mir mutig Gegenüber sein. Und wer bin ich mir gegenüber? Nicht nur einer womöglich. Bin viele, eine schillernde Figur, für den einen bin ich der und für mich ein anderer. Festgelegt bin ich wirklich nicht. Ich kann auch anders sein.

Ob ich mich gern habe, fragt er mich. Ob ich mir freundlich gesonnen bin, frage ich mich. Ich oder er?  Sonderbar die eigene Stimme zu hören auf der anderen Seite vom Tisch. Für einen Moment regt sich Scham. So also werde ich gehört. Bin überrascht von ihrem Klang. Meine Stimme, ich will sie unbedingt öfter hören, sie aufnehmen, aushalten und die Gefühle wahrnehmen, die sie auslöst in mir. Meine Stimme bin ich. Wäre schön herzlich mit ihr zu sein, mit dem Vielen, das ich bin. Untrennbar eng bin ich mir Nächster. Mich zu beachten macht Sinn, mich zu achten ganz bestimmt.

Geschirr kracht auf den Boden. Schrecke hoch aus meinen Gedanken. Eine Tasse steht auf den Tisch. Bin allein am Fenster, meinem Lieblingsplatz. Leben zieht rauschend an mir vorbei. Es ist Zeit zu gehen. Lege den Schal um und spaziere nach draußen. Bin mitten drin im quirligen Leben. Gehe nicht allein. Bin ganz mit mir. Ein reizendes Gefühl.

In Vergessenheit geraten

Leben zu retten ist ein sehr hohes Gut. Freiheit ein noch höheres, denn für unsere Freiheit haben Menschen ihr Leben gegeben statt es zu retten. Das gerät leicht in Vergessenheit, weil uns Freiheit gewöhnlich geworden ist im Alltag. Freiheit ist ein so hohes Gut, dass die Bundesregierung bereit ist, das Leben von Menschen, von Soldaten in Afghanistan und anderswo zu opfern, damit wir frei leben können. Leben zu retten ist für keine Regierung dieser Welt das höchste Gut.

Seit Weihnachten wirbt der Gesundheitsminister für das Impfen gegen Covid 19 mit den Worten: „Wer mitmacht, rettet Leben!” Mehr Druck lässt sich kaum erzeugen, denn der Umkehrschluss lautet: Wer sich nicht impfen lässt, rettet kein Leben, heftiger noch, er trägt Verantwortung für den Tod von Mitmenschen. Sogenannte Impfverweigerer verweigern sich nicht nur der Nächstenliebe, sie machen sich schuldig am Nächsten. Wer Menschen so schonungslos in die moralische Enge treibt, wer Schuldgefühle und schlechtes Gewissen erzeugt, um ein bestimmten Verhalten zu erzwingen, nimmt ihnen die Möglichkeit der selbstverantworteten Entscheidung. Er manipuliert. Er nimmt ihnen die Freiheit, unser höchstes Gut. Sich impfen zu lassen wird alternativlos, will man nicht als asozial verurteilt und von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. „Alternativlos” ist ein beliebtes Wort in der gegenwärtigen Regierung. Das ist undemokratisch, weil es den Diskurs verhindert und absolute Wahrheiten setzt. Kein Politiker, der die Freiheit und ihre leidvolle Geschichte achtet, hat das Recht, Menschen in die moralische Enge zu treiben, ihnen die Wahl fast unmöglich zu machen mit dem Verweis auf Nächstenliebe und Schuld. In einer freiheitlichen Demokratie gibt es immer berechtigte Alternativen, in ethischen Fragestellungen ohnehin. 

Keine Frage, es gibt gute Gründe sich impfen zu lassen. Es gibt aber auch gute Gründe eine Impfung abzulehnen. Die sollte ein Gesundheitsminister achten, statt sie zu missbilligen und herabzuwürdigen. So fördert er nur die innere Spaltung unseres Landes. Wer sich nicht impfen lässt aus guten Gründen, macht sich nicht schuldig am Tod von Menschen. Freiheit ist ein so hohes Gut, dass Menschen dafür sterben. Freiheit fordert Opfer. Das ist eine traurige und bittere Wahrheit, die leicht in Vergessenheit gerät in einem Land, in dem Freiheit alltäglich geworden ist. 

Dem Gesundheitsminister wäre es wahrscheinlich möglich gewesen viele Menschenleben zu retten. Nach der weltweiten Schweinegrippe 2009/10 und der großen pandemischen Grippewelle 2017/18 mit Tausenden von Toten jeden Monat hätte er unser Land gründlich auf eine neue Pandemie vorbereiten können. Nicht einmal Masken gab es, nicht einmal sicheres Wissen über die Wirksamkeit von Masken. Ob er sich schuldig gemacht hat, ob er ein schlechtes Gewissen hat? Jedes Menschenleben zu retten ist nicht das höchste Gut der Regierung. Und die Freiheit?

Befürchter

Am Ende stehen die Befürchter immer gut da. Wird es so schrecklich, wie von ihnen verkündet, werden sie sagen nicht ohne Stolz: Seht ihr, wir hatten Recht. Und die Menschen werden ihnen huldigen ob ihrer Weisheit und Voraussicht. Kommt es nicht ganz so arg, wie von ihnen prophezeit, werden sie sagen ganz zweifellos: Ohne unsere Warnungen und Maßnahmen wäre es wahrlich schlimmer gekommen. Und die Menschen werden geneigt sein ihnen treulich zu glauben. 

Die Mutigen, die Vertrauenden, die mit der eigenen Sicht auf die Dinge haben es nicht so leicht. Sie können tief fallen. Doch möchte ich nichts anderes werden in dieser Zeit.

Andere Weihnacht

In diesem Jahr ist Weihnachten ganz anders. Volle Kirchen wird es nicht geben. Wenige Tage vor dem Fest empfehlen Ministerpräsidenten mit seit Monaten gewohnt ernster Stimme, Heiligabend auf den Gottesdienstbesuch zu verzichten. Ihnen selbst würde es schwerfallen, aber in Zeiten wie diesen gebietet es die Nächstenliebe zuhause zu bleiben. Es ist wohl ein Novum in der langen Geschichte des christlichen Gottesdienstes, dass seine Besucher in den Verdacht der Lieblosigkeit geraten könnten. Und es ist eine weitere Merkwürdigkeit, in nationalen und persönlichen Krisenzeiten dem Volk vom Gottesdienstbesuch abzuraten. In der Vergangenheit war es eher anders. Die Herrschenden haben Buß- und Bettage mit einer gewissen Pflicht zum Gottesdienstbesuch verordnet, um Notlagen von bedrohlicher Tragweite gemeinschaftlich zu bewältigen. Ob ein verpflichtendes Gebet und eine geforderte Buße die Angst mildern und die Zuversicht stärken können, mag dahingestellt sein. Aber immerhin kam der Gottesdienst als eine Möglichkeit der Krisenbewältigung in Betracht jenseits der Grenzen des politisch Machbaren. Gottesdienst war Trost- und Hoffnungsspender, wenn Politik und Wissenschaft keinen Trost, keine Hoffnung mehr geben konnten. Das kommt vor. Allmächtig sind sie nicht. 

In diesem Jahr ist Weihnachten alles anders. Der Bundespräsident meldete sich zu Wort, wie es seine würdige Pflicht ist in Krisen- und Weihnachtszeiten, spricht von Hoffnung, die es trotz der dramatischen Lage gibt. Kurz vor dem großen Fest wäre es naheliegend, die Hoffnung mit dem  Jesus-Kind, dem Heiland der Welt zu verknüpfen. Doch das tut er nicht. Seine Zuversicht gründet auf dem Impfstoff, den es bald geben wird. Nicht Jesus Christus, sondern das Serum ist das Licht in einer scheinbar dunklen Welt. Das ist die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr.

Angesicht der kaum zu bändigenden Corona-Zahlen und der Hilflosigkeit der Politik einen Aufruf zum Gebet vom Staatsoberhaupt zu hören, wäre womöglich beeindruckend, liegt aber nicht im Horizont des präsidialen Amtes unserer Zeit. Empörung wäre kaum zu erwarten, wenn er es täte. Schließlich ist die Lage beängstigend. Ratlosigkeit wäre eine denkbare Reaktion in einem Land das zunehmend ungeübt ist in religiöser Praxis: Was ist Gebet und wie betet man? Und was ist der Sinn von Gebet? Gebet ist eine Sprache des Überlebens, ein eigentümlich bewährtes Gespräch mit der Seele um Krisen der Machtlosigkeit zu bewältigen. Haben wir so eine Krise? Und ist es politisch fahrlässig, das Potential des Betens nicht zu nutzen um die kollektive Angst zu mildern? Hoffnung und Zuversicht liegen auf dem Impfstoff. In der Krippe liegen BioNTech, CureVac, Moderna. Sie sind die Retter der Welt. Letztes Jahr war es ein Mädchen aus Schweden. Die Geschichte vom Christkind scheint nicht mehr plausibel. Dem Jesus traut man die Rettung der Welt längst nicht mehr zu. Seltsam ist die Zurückhaltung der Kirchen. Notlagen haben sie immer vitalisiert und Gottesdienste gefüllt. In diesem Jahr bleiben die Kirchen leer, wegen der Nächstenliebe. 

Ich hoffe inständig, die Sache mit dem Impfstoff geht gut. Wenn nicht, hat die Politik einen Plan B? Wäre beruhigend. Und haben wir bewährte Hausmittel und Wege mit Zukunftsangst umzugehen? Im Moment könnte sich Angst auf die ein oder andere Weise bemerkbar machen und die Stimmung drücken. Schlechte Stimmung tut der Gesundheit nicht gut.

In der Menschheitsgeschichte bot Religion, ihre Rituale und gelebte Alltagsfrömmigkeit immer so eine Art Plan B. Vielleicht neigt unsere Zeit dazu die religiöse Praxis als Mittel der Lebensbewältigung leichtsinnig zu unterschätzen. Aber vielleicht geht es auch gut mit dem Impfstoff. Vielleicht beten auch wieder mehr als vermutet im Stillen. Warum nicht. Wir werden sehen. Dieses Jahr ist alles anders. Und nächstes Jahr? 

Beten

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Gott-Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“  

So steht es in der Bibel. Soll Jesus gesagt haben.

Gehe ich in ein Krankenhaus oder betrete ich eine Kapelle, dann suche ich nach ihnen. In einem stillen Winkel finde ich sie: Die Besucherbücher. Scheinbar unbeachtet kümmern sie vor sich hin. Doch schlägt man sie auf, ist man mittendrin im Abenteuer Leben, wird Zeuge höchst persönlicher Gespräche zwisch Mensch und Gott. Gebete von Herzen, einfach, schlicht, ehrlich, ergreifend. Wer sie liest, versteht, dass Beten nicht zu verstehen ist, so wenig wie das Leben. Man betet oder lässt es, wenn man es lassen kann.

Gebete von Menschen, die es nicht lassen können, aufgeschrieben in den Lehrbüchern des Betens, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlich Möglichen:  

„Lieber Herr, ich glaube nicht an dich, weil ich schon so viel Leid ertragen musste. Trotzdem komme ich jeden Tag hierher und erhoffe Deine Hilfe. Bringe mich bitte auf den rechten Weg.“ 

Ein Mensch, der nicht glaubt und doch betet. Einer, der im Leid Gott aufgegeben hat und doch Hilfe bei ihm sucht. Wie geht das? Ist doch verrückt! Kann man beten ohne Glauben? Oh ja, offenbar. Dieser Mensch kann es. Kein Zweifel, seine Worte sind Gebet. Das Gebet, so scheint es, ist bedingungslos, unabhängig. Es gibt keine wirklichen Voraussetzungen, die geleistet werden müssen. Keinen frommen Regeln muss Genüge getan werden, um sich ein Gebet zu erlauben. Nicht einmal der Glaube ist wichtig.

Das Gebet ist eine freie Sprache. Sie ist so unverschämt frei, dass man sie niemanden verschreiben kann. Wer sagt, du musst beten, behindert dein Gebet. Wer sagt, du musst glauben, dem traue nicht.

Bete in aller Freiheit, bete mit Glauben, bete ohne Glauben oder bete irgendwo dazwischen, im Widerspruch von beidem. Bete, wenn dein Herz nach Freiheit verlangt, nach der Freiheit einer Sprache, in der man sein kann, wie man ist, schnörkellos, schlicht, einfach Mensch. Achte nicht auf deinen Glauben, achte nicht auf deinen Unglauben.  Achte aber auf dein Herz. Vielleicht verlangt es öfter nach freier Sprache, als du glaubst.

Einfache Gebete, in Freiheit gesprochen, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlichen Möglichen:

„Lieber Gott, danke! Ich lebe noch, das Leben ist so schön! Du hast mir vor sieben Jahren meinen lieben Ehemann genommen. Dann vor drei Jahren meinen heiß geliebten einzigen Sohn. Vor einem Jahr meine letzte Angehörige, meine Schwester. Jetzt habe ich einen Herzinfarkt überlebt und freue mich trotzdem, dass ich noch auf dieser Welt bin.“  

Ein Dankgebet. Es hätte auch ein Klagegebet sein können. Viel schwerer Stoff in einem Leben. Die Frau, wohl schon älter, hat sich für das Danken entschieden. Es war ihre Entscheidung, wie sie ihr Leben sieht. Vielleicht keine einfache, aber ihre Entscheidung. In der Rückschau auf die Zeit hatte sie die Wahl zwischen Verbitterung und Dankbarkeit. Sie hat sich entschieden und die Dankbarkeit gewählt, warum auch immer.

Das Leben eines Menschen ist so, wie es ist. Es gibt nichts wirklich Gutes und nichts Schlechtes. Das Gute kann schlecht sein und das schlechte kann gut sein, wie sich später oft herausstellt. Wer weiß schon, welchen Sinn das Einzelne im Ganzen macht. Wer weiß schon, wie groß das Ganze ist, in dem wir leben, und welchen Sinn es macht. Es ist unsere Entscheidung, wie wir unser Leben sehen, anklagend oder versöhnt. Wir haben die Freiheit. Die Verantwortung liegt damit bei uns. Ob die Dankbarkeit die bessere Wahl ist? Schwer zu sagen. Dem Gebet ist beides recht. Im Gebet hat alles Raum, die ehrliche Klage und ehrliche Dankbarkeit.

Wofür Du Dich entscheiden sollst? Spüre, wonach Dein Herz verlangt und stehe ein für Deine Entscheidung. Sie ist gut, wenn Du die Verantwortung übernimmst. Das ist Deine Würde als Mensch, Deine Freiheit in Verantwortung zu leben. Darin sind wir Ebenbilder Gottes, wie die Bibel es nennt, kaum weniger als er. „Was ist der Mensch, Gott, dass du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott.“ Diesen Satz aus der Bibel zu verstehen heißt zu erkennen, wer man ist. Mehr als so mancher uns weismachen will. Wir haben etwas Göttliches an uns. Wir können beten.

Die einfachen Gebete, in göttlicher Würde gesprochen, man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:

„Lieber Gott!!! Danke, dass ich meine Handschuhe wiedergefunden habe! Ich glaub auch an Dich, bitte enttäusche mich nicht.“

Ob ein Kind dieses Gebet aufgeschrieben hat? Kinder haben keine Skrupel, sich mit den kleinen Dingen des Lebens an Gott zu wenden. Handschuhe wiedergefunden. Danke, Gott! Fahrradreifen platt. Hilf mir, Gott! Für sie hat das Gebet mit dem alltäglichen Leben zu tun, mit dem ganz Gewöhnlichen, das ein Tag zu bieten hat, einkaufen, Schuhe putzen, abwaschen, Hausaufgaben. Das ist naiv, sicherlich. Aber es zeugt auch von einer Art zu beten, die ganz nahe am Leben ist, ganz konkret mit dem Alltag verbunden ist. Das Gebet ist nicht nur eine Sprache für die große Krise, nicht nur Rede zu den erhabenen Themen des Lebens wie Krankheit und Gesundheit, Zweifel und Glauben, Leid und Glück, Tod und Sterben. Das Gebet ist nicht nur in den Kirchen zu Hause, in den wohlgesetzten Worten einer Liturgie. Es ist sich nicht zu schade für das einfache schlichte Leben. Hier ist es zu Hause. Schön, wenn Gebet Sprache im Alltag ist. Schön, wenn der Alltag Gebet ist. Es soll uns nicht abheben lassen von der Erde hinauf zu den himmlischen. Das Gebet soll uns erden, runterbringen, wurzeln lassen. Nur wer fest und tief verwurzelt ist in der Erde, kann zum Himmel emporwachsen. Achte auf die Bäume!

Einfache Gebete, dem Leben ganz nah, verwurzelt in der Erde. Man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:

„Gott, du weiß genauso gut wie ich, dass ich schon seit langem nicht mehr richtig an dich glaube! Du hast mich einfach viel zu oft allein gelassen! Als ich gebetet habe für meinen Großvater, ließest Du mich im Stich. Als ich gebet habe, dass sich meine Eltern wieder vertragen und Mom zurück zu Dad geht, kam auch nichts! Doch der schlimmste Moment war immer, als mich mein Stiefvater schlug und fertig machte, wo ich dich und deine Unterstützung am allermeisten brauchte, kam nichts! Einfach gar nichts! Ich musste mein Leben immer allein meistern ohne deine Hilfe. Daher kann ich nicht mehr an Dich glauben. Na, und jetzt liege ich mit Herzproblemen hier im Krankenhaus. Die 15-jährige Patientin!“

Bittgebete sind viele zu finden in den Besucherbüchern der Krankenhäuser und Kapellen, viele. Bitten um Gesundheit, um Hilfe bei einer Operation, Bitten für das Wohl der Kinder, Bitten gegen die Angst vor dem Tod. Eins ist sicher: Nicht alle Bitten wurden erfüllt. Keiner kann sagen warum. Wie oft mag das Mädchen nachts wach gelegen haben, zum Himmel flehend um Erlösung. Sie wurde aber nicht erlöst. Der Stiefvater schlug sie weiter. So ist das mit dem Gebet, eine schöne Sache, eine freie Sprache, tauglich für die Klage und für den Dank über das Leben, ganz nahe dem Alltag, aber leider ungeeignet für die Erfüllung eines einfachen Wunsches. Es ist ja nicht viel, was das Mädchen verlangt. Keine Schläge mehr. Das wenige bleibt ihr verwehrt. Was soll man dazu sagen? Einige können damit umgehen, sie sagen: Es war nicht Gottes Wille. Sein Wille ist die letzte Instanz. Die Wünsche des Mädchens entsprachen nicht seinem Plan für das Mädchen.

Jesus hat sein Leid so verstanden: „Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Gottes Wünsche sollen in Erfüllung gehen, nicht die des Menschen. In diesen Sätzen liegt viel Wahrheit, ohne Zweifel. Nicht umsonst hat Theologie und Kirche sie groß herausgebracht.  Wenn ein Mensch das für sein Leben annehmen kann, ist das ein großer Gewinn. Aber Jesus hat auch noch andere Sätze gesagt über das Bitten. Die Sache wird schwierig, sehr schwierig:  

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“

Und an anderer Stelle sagt er:

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“

Von der Theologie und der Kirche sind diese Sätze nie wirklich stark gemacht geworden, auch wenn sie von Jesus gesagt wurden wie der erste. Die Erfahrung spricht sehr dagegen und vor allem das Gottesbild. Ein Gott, der uns aus seiner unendlichen Fülle frei alles gibt, egal, was wir von ihm bitten, ohne Bedingungen, ohne strafende oder belohnende Absichten, das ist ein Gott, der nicht so recht passen will in die Vorstellungen der Religionen. Gott ist nicht freigiebig, sagen sie. Gott erfüllt nicht alle Wünsche, behaupten sie. Erst muss man ihm etwas geben, bevor er etwas gibt. Bevor er gibt, prüft er, ob wir es verdient haben, ob es in seinen Plan passt für uns. Denn er hat einen Plan für uns, aus dem wir nicht entkommen. Vertraute Gedanken, mit denen wir groß werden. Kleine Menschengedanken, nicht mehr. Gott ist größer. Warum um alles in der Welt sollte uns Gott nicht alle Wünsche erfüllen? Was hat er davon, es nicht zu tun? Er ist doch die ganze Fülle des Lebens! Er hat keinen Mangel! Warum sollte er uns nicht alles geben? Warum sollte er uns Mangel leiden lassen? Und warum sollte Gott einen Plan haben für unser Leben? Hat er uns nicht die Freiheit zur Entscheidung gegeben? Ist das nicht unsere Würde, der freie Wille? Wenn es darum geht, uns schuldig zu machen, uns kleinzumachen zu elenden Sündern, dann ist der freie Wille uns großzügig gegönnt, denn schuldig kann nur sein, wer die Wahl hat. Geht es um Gottes Plan für uns, geht es um die Würde unser Leben frei zu gestalten, dann spielt der freie Wille keine Rolle mehr. Dann gilt nur Gottes Wille. Dann sind wir willfährige Objekte seiner Ideen. Das alles macht kaum Sinn, es sei denn, jemand schätzt es, einen Menschen zu entwürdigen. Gott nimmt uns nicht unsere Freiheit. Er hat sie uns gegeben, weil wir ihm ähnlich sein sollen.

Ich glaube nicht, dass er einen Plan hat für unser Leben, den er mit aller Gewalt durchzieht wie ein Drehbuch. Was wäre das für ein Gott? Ich glaube aber, er hat ein Ziel für unser Leben, ein vorläufiges, und wir werden dieses Ziel erreichen, egal wie wir uns entscheiden, egal was wir tun. Sein Wille wird geschehen, wenn wir in Freiheit entscheiden, obwohl wir in Freiheit entscheiden. Niemand muss Angst haben, eine falsche Wahl zu treffen. Niemand muss fürchten, Gottes Willen nicht zu entsprechen. Wir leben längst in Gott, sind ihm näher als wir glauben, sind längst erlöst. Weil es uns immer anders erzählt wird, haben wir keinen Blick dafür. Das kann sich ändern.

Wenn das so ist, warum sollte Gott uns nicht alle Bitten erfüllen? Warum sollte er uns nicht alles frei geben aus seiner Fülle, worum wir ihn bitten? Warum sollte er unsere Wünsche nicht erfüllen? Bloß nicht zu klein denken von Gott, bloß nicht zu menschlich. Bloß nicht zu ängstlich sein, bloß nicht zu sehr verhaftet sein in den engen Gefilden religiöser Macht. Mutig die Verantwortung übernehmen für den eigenen Glauben. Erwachsen werden.

Es bleibt die Erfahrung nicht erhörter Gebete. Ich weiß. Die Gebetsbücher in den Krankenhäusern und Kapellen erzählen davon. Aber diese Erfahrung sollte nicht dazu führen, von uns Menschen und von Gott zu klein zu denken. Immer ein bisschen größer denken, immer das Unmögliche glauben, keine Angst haben vor eigenen Gedanken, Grenzen überschreiten, mit Überraschungen rechnen, nicht stehen bleiben bei dem Altvertrauten. Es gibt noch viel zu entdecken. In Bewegung bleiben, beten, in freier Sprache, in Verantwortung für dein Leben, verwurzelt in der Erde, wissend und glaubend, dass Gott alle Bitten erfüllt. Und mit der Erfahrung Frieden schließen, dass manches anders kommt, als Du es Dir wünscht. So ist das Leben, voller Widersprüche. Warum das so ist? Weiß der Himmel.

Gebete von Menschen, die es nicht lassen können, aufgeschrieben in den Lehrbüchern des Betens, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlich Möglichen:  

„Lieber Herr, ich glaube nicht an dich, weil ich schon so viel Leid ertragen musste. Trotzdem komme ich jeden Tag hierher und erhoffe Deine Hilfe. Bringe mich bitte auf den rechten Weg.“ 

Ein Mensch, der nicht glaubt und doch betet. Einer, der im Leid Gott aufgegeben hat und doch Hilfe bei ihm sucht. Wie geht das? Ist doch verrückt! Kann man beten ohne Glauben? Oh ja, offenbar. Dieser Mensch kann es. Kein Zweifel, seine Worte sind Gebet. Das Gebet, so scheint es, ist bedingungslos, unabhängig. Es gibt keine wirklichen Voraussetzungen, die geleistet werden müssen. Keinen frommen Regeln muss Genüge getan werden, um sich ein Gebet zu erlauben. Nicht einmal der Glaube ist wichtig.

Das Gebet ist eine freie Sprache. Sie ist so unverschämt frei, dass man sie niemanden verschreiben kann. Wer sagt, du musst beten, behindert dein Gebet. Wer sagt, du musst glauben, dem traue nicht.

Bete in aller Freiheit, bete mit Glauben, bete ohne Glauben oder bete irgendwo dazwischen, im Widerspruch von beidem. Bete, wenn dein Herz nach Freiheit verlangt, nach der Freiheit einer Sprache, in der man sein kann, wie man ist, schnörkellos, schlicht, einfach Mensch. Achte nicht auf deinen Glauben, achte nicht auf deinen Unglauben.  Achte aber auf dein Herz. Vielleicht verlangt es öfter nach freier Sprache, als du glaubst.

Einfache Gebete, in Freiheit gesprochen, zu finden in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapellen, abseits des menschlichen Möglichen:

„Lieber Gott, danke! Ich lebe noch, das Leben ist so schön! Du hast mir vor sieben Jahren meinen lieben Ehemann genommen. Dann vor drei Jahren meinen heiß geliebten einzigen Sohn. Vor einem Jahr meine letzte Angehörige, meine Schwester. Jetzt habe ich einen Herzinfarkt überlebt und freue mich trotzdem, dass ich noch auf dieser Welt bin.“  

Ein Dankgebet. Es hätte auch ein Klagegebet sein können. Viel schwerer Stoff in einem Leben. Die Frau, wohl schon älter, hat sich für das Danken entschieden. Es war ihre Entscheidung, wie sie ihr Leben sieht. Vielleicht keine einfache, aber ihre Entscheidung. In der Rückschau auf die Zeit hatte sie die Wahl zwischen Verbitterung und Dankbarkeit. Sie hat sich entschieden und die Dankbarkeit gewählt, warum auch immer.

Das Leben eines Menschen ist so, wie es ist. Es gibt nichts wirklich Gutes und nichts Schlechtes. Das Gute kann schlecht sein und das schlechte kann gut sein, wie sich später oft herausstellt. Wer weiß schon, welchen Sinn das Einzelne im Ganzen macht. Wer weiß schon, wie groß das Ganze ist, in dem wir leben, und welchen Sinn es macht. Es ist unsere Entscheidung, wie wir unser Leben sehen, anklagend oder versöhnt. Wir haben die Freiheit. Die Verantwortung liegt damit bei uns. Ob die Dankbarkeit die bessere Wahl ist? Schwer zu sagen. Dem Gebet ist beides recht. Im Gebet hat alles Raum, die ehrliche Klage und ehrliche Dankbarkeit.

Wofür Du Dich entscheiden sollst? Spüre, wonach Dein Herz verlangt und stehe ein für Deine Entscheidung. Sie ist gut, wenn Du die Verantwortung übernimmst. Das ist Deine Würde als Mensch, Deine Freiheit in Verantwortung zu leben. Darin sind wir Ebenbilder Gottes, wie die Bibel es nennt, kaum weniger als er. „Was ist der Mensch, Gott, dass du seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott.“ Diesen Satz aus der Bibel zu verstehen heißt zu erkennen, wer man ist. Mehr als so mancher uns weismachen will. Wir haben etwas Göttliches an uns. Wir können beten.

Die einfachen Gebete, in göttlicher Würde gesprochen, man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:

„Lieber Gott!!! Danke, dass ich meine Handschuhe wiedergefunden habe! Ich glaub auch an Dich, bitte enttäusche mich nicht.“

Ob ein Kind dieses Gebet aufgeschrieben hat? Kinder haben keine Skrupel, sich mit den kleinen Dingen des Lebens an Gott zu wenden. Handschuhe wiedergefunden. Danke, Gott! Fahrradreifen platt. Hilf mir, Gott! Für sie hat das Gebet mit dem alltäglichen Leben zu tun, mit dem ganz Gewöhnlichen, das ein Tag zu bieten hat, einkaufen, Schuhe putzen, abwaschen, Hausaufgaben. Das ist naiv, sicherlich. Aber es zeugt auch von einer Art zu beten, die ganz nahe am Leben ist, ganz konkret mit dem Alltag verbunden ist. Das Gebet ist nicht nur eine Sprache für die große Krise, nicht nur Rede zu den erhabenen Themen des Lebens wie Krankheit und Gesundheit, Zweifel und Glauben, Leid und Glück, Tod und Sterben. Das Gebet ist nicht nur in den Kirchen zu Hause, in den wohlgesetzten Worten einer Liturgie. Es ist sich nicht zu schade für das einfache schlichte Leben. Hier ist es zu Hause. Schön, wenn Gebet Sprache im Alltag ist. Schön, wenn der Alltag Gebet ist. Es soll uns nicht abheben lassen von der Erde hinauf zu den himmlischen. Das Gebet soll uns erden, runterbringen, wurzeln lassen. Nur wer fest und tief verwurzelt ist in der Erde, kann zum Himmel emporwachsen. Achte auf die Bäume!

Einfache Gebete, dem Leben ganz nah, verwurzelt in der Erde. Man findet sie in den stillen Winkeln der Krankenhäuser und Kapelle, abseits des menschlich Möglichen:

„Gott, du weiß genauso gut wie ich, dass ich schon seit langem nicht mehr richtig an dich glaube! Du hast mich einfach viel zu oft allein gelassen! Als ich gebetet habe für meinen Großvater, ließest Du mich im Stich. Als ich gebet habe, dass sich meine Eltern wieder vertragen und Mom zurück zu Dad geht, kam auch nichts! Doch der schlimmste Moment war immer, als mich mein Stiefvater schlug und fertig machte, wo ich dich und deine Unterstützung am allermeisten brauchte, kam nichts! Einfach gar nichts! Ich musste mein Leben immer allein meistern ohne deine Hilfe. Daher kann ich nicht mehr an Dich glauben. Na, und jetzt liege ich mit Herzproblemen hier im Krankenhaus. Die 15-jährige Patientin!“

Bittgebete sind viele zu finden in den Besucherbüchern der Krankenhäuser und Kapellen, viele. Bitten um Gesundheit, um Hilfe bei einer Operation, Bitten für das Wohl der Kinder, Bitten gegen die Angst vor dem Tod. Eins ist sicher: Nicht alle Bitten wurden erfüllt. Keiner kann sagen warum. Wie oft mag das Mädchen nachts wach gelegen haben, zum Himmel flehend um Erlösung. Sie wurde aber nicht erlöst. Der Stiefvater schlug sie weiter. So ist das mit dem Gebet, eine schöne Sache, eine freie Sprache, tauglich für die Klage und für den Dank über das Leben, ganz nahe dem Alltag, aber leider ungeeignet für die Erfüllung eines einfachen Wunsches. Es ist ja nicht viel, was das Mädchen verlangt. Keine Schläge mehr. Das wenige bleibt ihr verwehrt. Was soll man dazu sagen? Einige können damit umgehen, sie sagen: Es war nicht Gottes Wille. Sein Wille ist die letzte Instanz. Die Wünsche des Mädchens entsprachen nicht seinem Plan für das Mädchen.

Jesus hat sein Leid so verstanden: „Vater, wenn es möglich ist, dann lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Gottes Wünsche sollen in Erfüllung gehen, nicht die des Menschen. In diesen Sätzen liegt viel Wahrheit, ohne Zweifel. Nicht umsonst hat Theologie und Kirche sie groß herausgebracht.  Wenn ein Mensch das für sein Leben annehmen kann, ist das ein großer Gewinn. Aber Jesus hat auch noch andere Sätze gesagt über das Bitten. Die Sache wird schwierig, sehr schwierig:  

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er`s euch geben.“

Und an anderer Stelle sagt er:

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“

Von der Theologie und der Kirche sind diese Sätze nie wirklich stark gemacht geworden, auch wenn sie von Jesus gesagt wurden wie der erste. Die Erfahrung spricht sehr dagegen und vor allem das Gottesbild. Ein Gott, der uns aus seiner unendlichen Fülle frei alles gibt, egal, was wir von ihm bitten, ohne Bedingungen, ohne strafende oder belohnende Absichten, das ist ein Gott, der nicht so recht passen will in die Vorstellungen der Religionen. Gott ist nicht freigiebig, sagen sie. Gott erfüllt nicht alle Wünsche, behaupten sie. Erst muss man ihm etwas geben, bevor er etwas gibt. Bevor er gibt, prüft er, ob wir es verdient haben, ob es in seinen Plan passt für uns. Denn er hat einen Plan für uns, aus dem wir nicht entkommen. Vertraute Gedanken, mit denen wir groß werden. Kleine Menschengedanken, nicht mehr. Gott ist größer. Warum um alles in der Welt sollte uns Gott nicht alle Wünsche erfüllen? Was hat er davon, es nicht zu tun? Er ist doch die ganze Fülle des Lebens! Er hat keinen Mangel! Warum sollte er uns nicht alles geben? Warum sollte er uns Mangel leiden lassen? Und warum sollte Gott einen Plan haben für unser Leben? Hat er uns nicht die Freiheit zur Entscheidung gegeben? Ist das nicht unsere Würde, der freie Wille? Wenn es darum geht, uns schuldig zu machen, uns kleinzumachen zu elenden Sündern, dann ist der freie Wille uns großzügig gegönnt, denn schuldig kann nur sein, wer die Wahl hat. Geht es um Gottes Plan für uns, geht es um die Würde unser Leben frei zu gestalten, dann spielt der freie Wille keine Rolle mehr. Dann gilt nur Gottes Wille. Dann sind wir willfährige Objekte seiner Ideen. Das alles macht kaum Sinn, es sei denn, jemand schätzt es, einen Menschen zu entwürdigen. Gott nimmt uns nicht unsere Freiheit. Er hat sie uns gegeben, weil wir ihm ähnlich sein sollen.

Ich glaube nicht, dass er einen Plan hat für unser Leben, den er mit aller Gewalt durchzieht wie ein Drehbuch. Was wäre das für ein Gott? Ich glaube aber, er hat ein Ziel für unser Leben, ein vorläufiges, und wir werden dieses Ziel erreichen, egal wie wir uns entscheiden, egal was wir tun. Sein Wille wird geschehen, wenn wir in Freiheit entscheiden, obwohl wir in Freiheit entscheiden. Niemand muss Angst haben, eine falsche Wahl zu treffen. Niemand muss fürchten, Gottes Willen nicht zu entsprechen. Wir leben längst in Gott, sind ihm näher als wir glauben, sind längst erlöst. Weil es uns immer anders erzählt wird, haben wir keinen Blick dafür. Das kann sich ändern.

Wenn das so ist, warum sollte Gott uns nicht alle Bitten erfüllen? Warum sollte er uns nicht alles frei geben aus seiner Fülle, worum wir ihn bitten? Warum sollte er unsere Wünsche nicht erfüllen? Bloß nicht zu klein denken von Gott, bloß nicht zu menschlich. Bloß nicht zu ängstlich sein, bloß nicht zu sehr verhaftet sein in den engen Gefilden religiöser Macht. Mutig die Verantwortung übernehmen für den eigenen Glauben. Erwachsen werden.

Es bleibt die Erfahrung nicht erhörter Gebete. Ich weiß. Die Gebetsbücher in den Krankenhäusern und Kapellen erzählen davon. Aber diese Erfahrung sollte nicht dazu führen, von uns Menschen und von Gott zu klein zu denken. Immer ein bisschen größer denken, immer das Unmögliche glauben, keine Angst haben vor eigenen Gedanken, Grenzen überschreiten, mit Überraschungen rechnen, nicht stehen bleiben bei dem Altvertrauten. Es gibt noch viel zu entdecken. In Bewegung bleiben, beten, in freier Sprache, in Verantwortung für dein Leben, verwurzelt in der Erde, wissend und glaubend, dass Gott alle Bitten erfüllt. Und mit der Erfahrung Frieden schließen, dass manches anders kommt, als Du es Dir wünscht. So ist das Leben, voller Widersprüche. Warum das so ist? Weiß der Himmel.

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